Ausstellung

21. Juni - 29. Juli 2007 Ständig in Bewegung



Remise Bludenz und Kunstforum Montafon im Zeichen des Reisens
 
von Karlheinz Pichler
 
Reisen reisst Räume auf: geografische, geistige, emotionale, sinnliche. Im Rahmen einer Doppelausstellung in der Remise Bludenz und im Kunstforum Montafon in Schruns wird das Reisen zum künstlerischen Versuchsfeld. Unter der Headline „Unsere Natur liegt in der Bewegung, die vollkommene Ruhe ist der Tod“ widmet sich die Remise dem „Reisen nach innen“, während das Kunstforum Montafon in Schruns in Ergänzung dazu das Reisen nach aussen thematisiert.


Der Titel der Ausstellung leitet sich aus einem Zitat des französischen Mathematikers, Physikers und Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) ab. Das ist insofern paradox, als Pascal ursprünglich der Ansicht war, dass alles Unglück dieser Welt davon herrühre, dass der Mensch nicht ruhig in seinem Zimmer sitzen könne. Statt im Zimmer zu liegen wie ein verpupptes Insekt, das im Zustand der Reglosigkeit auf eine neue Jahreszeit wartet, sei der Mensch ein Tempobolzer und Rastloser. Später allerdings gelangte Pascal zur Ansicht, dass das Reisen der Urtrieb des Menschen sei, ohne den er nicht existieren könne. Das Reisen wird quasi als Grundbedürfnis anerkannt und akzeptiert. Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist folglich auch eine Geschichte der Ortswechsel, der grossen Wanderungen und der Sesshaftigkeit. Und der
moderne Mensch setzt sich zusammen aus der Schnittmenge von Mobilität, Migration und Multikultur, von Massenwanderung und Massentourismus.

Pascals Satz von der Unfähigkeit des Menschen, ruhig zu Hause bleiben zu können, ist auch von Bruce Chatwin aufgegriffen worden. Chatwin wollte diese These in einer Art „Anatomie der Rastlosigkeit“ weiterentwickeln. Chatwin, der 1940 im britischen Sheffield geboren wurde und 1989 in Nizza an Aids starb, wurde zum Kultautor all jener, denen der Tourismus verhasst war und ist, und die aber dennoch unter Fernweh leiden. Der Schriftsteller, der seinen gutdotierten Job als Direktor der Impressionismus-Abteilung bei Sotheby’s an den Nagel hing, um sich dem Reisen hinzugeben, meinte einmal: „Für uns Junge
 war Reisen damals nicht Selbstzweck, es gehörte einfach dazu. Man konnte nach London, aber ebenso gut in die Südsee gehen. Diese Vorstellung hat mich bis heute nicht verlassen. Wenn ich meine Sachen packe, nehme ich mir nicht vor, eine
Reise zu unternehmen. Ich gehe einfach weg.“ Und wenn es in Chatwins bekanntestem Werk, „Traumpfade“ über die Nomaden heisst, „...sie sind unruhige Zugvögel, die nur glücklich und innerlich ruhig sind, wenn sie unterwegs sind...", so trifft das im Prinzip auch auf ihn selbst zu. Aber auch auf Künstler, die als Prototypen des Reise-Sehn-Süchtigen gelten. Denn „wem ausser dem Künstler kann heute ein Bedürfnis nach Freiheit und Abweichung attestiert werden, nach Grenzüberschreitung, Abschütteln von Konventionen, gesellschaftlicher Enge und alltäglicher Routine? Seine Suche nach neuen Reizen steht für Unruhe, für den Aufbruch zu immer wieder neuen Horizonten, was neue Lust am Leben verleiht.“ [PaoloBianchi in „Als Reisende im Prä-Millennium“, Kunstforum 1997]

Dass sich Kunstschaffende dabei nicht mit der Masse gleichsetzen lassen wollen, bewies unter anderem Marcel Duchamp, der sich dadurch als Tourist verweigerte, indem er es vom Auftreffen eine Münze, Kopf oder Zahl, abhängig machte, ob er sich am Abend nach New York, seiner zweiten „Heimat“ einschiffe oder in Paris bleibe.

Das Unterwegs sein

Bruce Chatwins Untersuchungen zum Nomadentum schweben als eine Art Leitfaden über dem Ausstellungsteil „Unterwegs Sein“ im Kunstforum Montafon. Der Untertitel „In Bewegung Sein als Fortschritt“ entstammt denn auch dessen bereits erwähntem Werk „Traumpfade“. Und als logische Folgerung daraus sind fünf Reise-Fotografien Chatwins in die Schau integriert. Alfred Graf, Michael Höpfner, Inés Lombardi und Josh Müller sind die weiteren Kunstschaffenden, die sehr unterschiedliche Statements zu diesem Thema abgeben.

Der Feldkircher Künstler Alfred Graf zum Beispiel hielt sich auf Sylt auf und durchpflügte die Insel nach Sand und Erde, die für diesen Ort charakteristisch sind. Eine Fotografie einer Person, die sich auf einem Damm mit einem Regenmantel im Wind vergnügt, stellt er einer Serie von Arbeiten mit irdischem Material voran, das von diesem Damm aus gesehen werden kann. Graf: „Das gefundene Material wird zum farbgebenden Stoff der Arbeiten, ist Repräsentant einer Landschaft und ein Dokument der Geologie des Ortes zugleich.“ Die Formen und Linien, die sich auf den Objekten zeigen, sind direkte Verweise auf die Landschaft selbst.

Die Fotografien und Zeichnungen des 1972 in Krems geborenen Künstlers Michael Höpfner zeugen von weiten, extremen, menschenleeren Wüstenlandschaften, die er in langen Wanderungen begeht. In einem Interview, das Christian Reder mit ihm geführt hat, antwortet er auf die Frage, was ihm solche verlassene, weite, entvölkerte Räume bedeuten: „Wenn man
in einer überaus dichten Kulturlandschaft wie in Österreich aufgewachsen ist, wird Menschenleere zu etwas absolut Besonderem. Tagelang auf niemanden zu treffen, wo gelingt das schon? In der Wüste erstrecken sich die Räume ins
Unendliche, vielleicht kommt irgendwann einmal ein Militärposten, sonst aber die längste Zeit nichts, da und dort Pisten, unmerkliche Pfade, vage Verbindungslinien. Du bist immer irgendwo dazwischen... Entweder du bewegst dich weiter oder du vertrocknest. Von einem Punkt ganz allein zum nächsten zu gehen und den Raum dazwischen zu überbrücken, macht für mich Sinn, weil ich meine Arbeit aus dieser Bewegung heraus definiere.“

In der Videoarbeit „La construction du ciel“ des in Wien lebenden deutschen Kunstschaffenden Josh Müller sind in Nebel gehüllte Flugzeuge auf einem Rollfeld eines Flughafens zu sehen. Die Kamera hält den Tower und Teile der Umgebung in bewegungsarmen Bildern fest. Es dominieren unbewegte Einzeleinstellungen, die von elektronischen Sounds überlagert werden. Die Kunsthistorikerin Patricia Grzonka schreibt darüber„’Flughafen’ steht natürlich, seit es ihn gibt, als Metapher für ferne Ziele und romantische Fluchtfantasien. Was aber, wenn die Jumbo-Jets wie in &Mac226;La construction du ciel’ nicht starten oder landen, sie gar nicht vom Boden wegkommen, weil es sich bei ihnen um Substitute handelt, um Modellflugzeuge? Dann springt eventuell unsere visuelle Auffassung in etwas völlig anderes um und der Flughafen konkretisiert sich plötzlich zu einem Sinnbild für Stagnation, für den Endpunkt der Reise, für den Zerfall einer Utopie.“

Die neuen Arbeiten von Inés Lombardi, die 1958 in São Paulo (Brasilien) zur Welt kam und heute in Wien lebt, sind während einer Reise zwischen Rheinmündung und Donaudelta entstanden, auf jener Wasserstrasse, die einst Sinnbild für einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum war, heute aber mehr ein Relikt der Vergangenheit denn eine Utopie verkörpert. „Die sichtbar eingefangene Welt ist keine dokumentarische Reise durch Kulturen, die Arbeiten vermitteln Eindrücke permanenter Zwischenräume und eines nie enden wollenden Fliessens.“ (Martin Prinzhorn)